Tatort
Premiere:
27. Juni 2025 SWR Sommerfestival Speyer
21. Festival des deutschen Films
Wettbewerb für den Rheingold Publikumspreis 2025
Die Koffer der Eltern im Bungalow in einem großbürgerlichen Viertel von Frankenthal sind schon für den Urlaub gepackt. Am Abend gibt es noch einen Besuch des Sohnes, der ihnen seine Freundin vorstellen will. Am nächsten Tag sind die Eltern verschwunden mitsamt dem Wohnwagen, der für die Reise vorgesehen war. Eine neugierige Nachbarin hatte spitze Schreie gehört und ist damit zur Mordkommission gerannt, findet aber kaum Gehör. Der andere Nachbar ist ein stadtbekannter Kontrollfreak, der aber kaum etwas zu berichten weiß – abgesehen von einer toten Katze, die sein Hund erlegt hat. Was bleibt ist Misstrauen. Dabei gibt es ja nichts Unverdächtigeres, als ein Sohn mit Freundin, der aufs verlasse- ne Haus aufpasst. Doch irgendetwas stimmt nicht. Und auch Lena Odenthal und Johanna Stern sind überzeugt davon, dass sich hinter der Nervosität der jungen Leute ein unschönes Geheimnis verbirgt. (JS - 21. Festival des deutschen Films)
“Das Böse ist kein Begriff, sondern ein Name für das Bedrohliche, das dem freien Bewusstsein begegnen und von ihm getan werden kann. (…) Und das Bewusstsein kann die Grausamkeit, die Zerstörung wählen um ihrer selbst willen. Die Gründe dafür sind der Abgrund, der sich im Menschen auftut.”
Vorab: Es war mir eine große Freude diesen, in jeglicher Hinsicht ungewöhnlichen SWR-Tatort mit den Kommissarinnen Lena Odenthal / Johanna Stern mitschreiben und - vor allem - inszenieren zu dürfen. Ungewöhnlich, weil in unserem Falle (wieder einmal) andere dramaturgische Wege eingeschlagen werden, als jene, die normalerweise jeden Sonntag von einem breit gestreuten Millionen-TV-Publikum erwartet werden. Es beginnt bereits damit, dass unsere Kommissarinnen erst nach ca. 20 Minuten zum ersten Mal in ermittelnde Aktion treten, wir (das Publikum) bis dahin den / die Täter bereits kennen und dramaturgisch nun - in einer offenen Täterführung - verfolgen, wie die Mordkommission Ludwigshafen diesen Fall lösen wird.
Da dies als Spannungsbogen bekanntlich nicht ausreicht, haben wir uns in der Vorbereitung nicht nur auf die Tat und deren Verfolgung konzentriert, sondern das Narrativ auf die (philosophische) Frage “Wer hat Schuld?” erweitert. Wir haben uns gefragt, ob die Mord-im-Affekt-Handelnde Person Schuld trägt oder derjenige, der diesen Affekt provoziert? Aber vielleicht ist diese mörderische Provokation auch aus einer “unterdrückten Scham” entstanden, weil ein autoritäres, patriarchal geführtes Familien-leben nicht kompatibel mit dem Verschweigen eines moralischen Fehltrittes und dessen Konsequenzen für ihn unvereinbar ist? Oder hat gar der Schuld, der einen begangenen Mord erpresserisch für persönliche, sexuell missbräuchliche Motive benutzt?
In gewisser Hinsicht liegen bei unserem Tatort Mike & Nisha ähnliche bzw. vergleichbare Grund-fragen vor, wie die in dem Jahrhundertroman _Schuld und Sühne von Fjordor Dostojewski beschriebenen. In der komplexen Handlung rund um seinen Protagonisten Rodion Raskolnikow, tötet dieser aus Verzweiflung und ideologischem Wahn ein “altes Pfandleiherweib” (sic). Dieser Mord und seine Konsequenzen entblößen im Roman den psychischen Zustand des Täters und der Leser wird Zeuge von Raskolnikows Kampf mit sich selbst, seiner Reue zur Tat und der moralischen Verantwortung gegenüber seiner Gesellschaft.
Wenn wir also diesem Tatort nicht nur das Attribut “Sonntagskrimi” zuordnen wollen, so würde ich ihn gerne in das Genre “Psychologischer Realismus” einbinden, da einerseits dem Drehbuch - im weitesten Sinne - ein authentischer Fall der jüngeren BRD-Geschichte zugrunde liegt und immer wieder ähnliche Fälle an die Öffentlichkeit gelangen.
Aus diesem Grunde habe ich in meiner Inszenierungsaufgabe versucht, dies einerseits in die handelnden Figuren der Regiefassung hineinzuschreiben und andererseits mit den Schauspielenden die Ambivalenz ihres vielschichtigen Charakters herauszuarbeiten. Und das nicht nur bei den beiden beiden jungen Hauptdarsteller:innen, sondern auch gesamtgesellschaftlich betrachtet, bei den vier tragenden Nebenrollen. Dass diese Charaktere in der Tiefe nicht so eindeutig ausformuliert werden können wie bei einer horizontalen Erzählung ist zwar nachvollziehbar, so sind aber doch oft auch die kleinen psychischen Notationen und emotionale Verhaltensweisen der supporting _actors wichtig um die Metaperspektive der Erzählung zu erfassen.
Zum Schluß noch ein paar Sätze zu unserer kinematographischen Herangehensweise. Als Referenz-film für den ästhetischen Stil von Mike & Nisha haben wir uns für den Kinofilm _First Reformed (2017) von Paul Schrader entschieden. Das fehlende Rot in der reduzierten Farbkomposition und das dunkle, punktierte Licht in unserem Film orientierten sich an seiner Arbeit, ganz abgesehen von den kameratechnischen Perspektivwechsel innerhalb der Geschichte.
Schrader, der nach seinem erfolgreich verfilmten Drehbuch Taxidriver 1972 ein Buch mit dem Titel _Transzendentaler Stil im Film - Ozu, Dreyer, Bresson heraus brachte, beschrieb in der deutschen Neuauflage: “Ich erkannte darin eine Brücke zwischen der Spiritualität, die meine Erziehung bestimmt hatte, und dem ›profanen‹ Kino, das ich liebte. Und diese Brücke war eine des Stils, nicht des Inhalts.”
Hieraus entwickelte sich im Laufe der Zeit, u.a. auch durch die aufkommenden Film-Werke von Andrej Tarkowskis und dem philosophischen Standardwerk von Gilles Deleuze, einer Neubetrachtung & -bewertung der Filmästhetik, bis sie in der heutigen Definition als _Slow Cinema determiniert wurde. Der transzendentale Stil formte sich dadurch zunehmend in der weltweiten Independent-Szene vom »Bewegt-Bild« zum »Zeit-Bild«" weiter.
Und hier wäre ich wieder - auch punktuell in unserem Tatort - bei meinem Inszenierungsstil, der seit Jahren davon geprägt ist bzw. ich mir Anleihen aus dieser “Zeit-Theorie” ableite. Dazu gehören - wie oben bereits kurz angedeutet - eher statische Bildausschnitte oder sparsame Kamerabewegungen, eine minimale Szenenauflösung, versetzte Schnitte, inhaltliche Auslassungen, et cetera.
All dies dient notwendigerweise dazu, dem zuschauenden Publikum, neben der eigentlichen Handlung auch die tieferliegende, nicht-sichtbare Narration, zugänglich zu machen, verbunden mit der Hoffnung, dass meine / unsere Absicht den einen oder anderen Zuschauenden einen (nachdenklichen) Mehrwert des Erzählten gibt.
Ich bedanke mich jedenfalls bei allen Mitwirkenden dieser Arbeit, von der Redaktion bis hin zu den Menschen am Set und in der Postproduktion. Es war mir eine Ehre mit ihnen arbeiten zu dürfen.